Vernissage im Justizzentrum 07.03.2025

Folgende Rede wurde von Dr. Michael Becker zur Vernissage der Ausstellung von Caroline Ananadele und Axel Jung im Justizzentrum gehalten:

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Caroline, lieber Axel,

danke, dass Ihr mir die Gelegenheit gegeben habt, mich mit Euren künstlerischen Arbeiten und Intentionen näher auseinandersetzen zu dürfen.

Offensichtlich ist es bemerkenswerten Synchronizitäten geschuldet, dass ausgerechnet diese beiden Künstler in einem Justizzentrum eine Gemeinschaftsausstellung ausrichten.

Axel Jung offenbarte mir im Vorgespräch, wie er als Jugendlicher in die Mühlen der Justiz geriet und im Zuge einer drohenden Verurteilung zu Gefängnis zu der religiös motivierten Frage gelangte: Wer bin ich überhaupt? Seit dieser einschneidenden spirituellen Erfahrung ist für ihn die Religion, letztlich also die Frage nach Ursprung, Schöpfung, Verantwortung, Lebensführung, geistiges Wachstum zum Zentrum seiner bewussten Auseinandersetzung geworden und in seine Kunst mit eingeflossen.

Caroline Annandale ihrerseits berichtete ihre spukhaften Erfahrungen im Alten Gericht, das vom Projekt48 als Künstlerateliers genutzt wurde, als sie mit Taschenlampe ausgestattet ihren Assoziationen aus schattenhaften Schimären und angeblichen ehemaligen Gefängniszellen im Keller des Gebäudes freien Lauf lassen musste. Allerdings ist der Weg zur Kunst viel früher, während ihres Einsatzes als Sergeant der US-Army im Irak, geebnet worden. Und das, ähnlich wie bei Axel Jung, im Zuge eines Schicksalschlages, in ihrem Falle durch eine posttraumatische Belastungsstörung.

Beide Künstler eignet daher nach meinem Dafürhalten eine genuin menschliche Authentizität, die sich auf recht unterschiedliche Weise in ihrer Kunst zum Ausdruck bringt, die Kunst als Vehikel nonverbaler, dadurch emotionalisierter Kommunikation nutzt. Während Axel Jung verstärkt eine Aura spiritualisierter Natur evoziert, arbeitet Caroline Annandale mit verklausulierten Codes des Leidens oder zumindest der tiefen Erfahrung, ohne sie ungezähmt überborden zu lassen. Die künstlerische Kontrolle über die Potentiale des Grausamen muss offensichtlich stringent aufrechterhalten bleiben, um den Betrachter durch ein Narrativ der bildnerischen und figuralen Symbole zu navigieren.

Die Bilder von Caroline sind getränkt mit mental schwerer Symbolik. Der realistische Malstil verführt nicht zum oberflächlichen Identifizieren von Bekanntem. Vielmehr könnten wir von einer Art traumatischem Realismus sprechen, obgleich dieser Ismus bislang in der Kunstgeschichte noch nie so formuliert wurde. Die farblich harmonische Grundaura verrät nicht so viel von den traumatischen, verletzenden Erfahrungen, die sich umso stärker in die figuralen Chiffren eingegraben zu haben scheinen. So angelt sich Caroline, gleich einer heilsamen Meditation, an ihrem pictoralen Tagebuch entlang und findet darin Trost und Souveränität zugleich, da sie nunmehr selbst entscheiden kann, wieviel sie von dem Schmerz zulassen oder strategisch narkotisieren kann.

Was tut man jungen Menschen auch an, sie zu Heroen, zu Kriegshelden zu stilisieren, um sie nach ihrer letztendlich gescheiterten Mission der Härte der Realität auszusetzen? Die Energie der Enttäuschung im Sinne der Auflösung der Täuschung kanalisiert Caroline nunmehr in die Kunst der ästhetischen Täuschung, die den Betrachter seinerseits zu aktiver Enttäuschungsarbeit aufruft.

Möglicherweise haben sich die beiden Künstlerkollegen gefunden, weil meditative, naturbezogene Ruhe und Sakralität auf eine brodelnde Unterwelt treffen, die beide auf ihre Art das Rätsel des Lebens, der unerschöpflichen Selbstfindung zu ergründen und zu konservieren trachten.

So kann das Werk von Axel Jung durchaus als ein künstlerischer Anker der Klarheit, Einfachheit verstanden werden, eine Zielzone, die Caroline Annandale womöglich anvisiert, zumindest wäre es einer gemarterten Psyche grundsätzlich zu wünschen. Insofern dürften sich die Werke durchaus auch gegenseitig befruchtet haben, zumindest begehen beide Künstler gemeinsame Plein-air-Treffen, ihr Naturbezug ist damit wohl evident.

Aber eine ruhige, klare Motivwahl kann leicht darüber hinwegtäuschen, dass Axel Jung sich mitnichten bereits auf dem Pfad der Erleuchtung befindet. Die Durchforstung aller uns bekannten Religionen nach Antwortangeboten auf die Frage nach einem selbst ist nach seinen eigenen Aussagen keinesfalls abgeschlossen. Seine anmutige Darstellung des Garten Getsemane ist womöglich nicht beliebig gewählt, zumal dieser geschichtsträchtige Ort eine Aura der Entscheidung, der Einsamkeit, des Verrats und der Angst versprüht, den man gelassen oder gar verspielt betreten möge wie das Kind mit dem Esel. Oder Axels Begegnung mit dem tibetanischen Mönch, der ihm auf die Anfrage nach einem Foto tief und lange in die Augen blickte – für Axel Jung allesamt Anlässe und Quellen für spirituelle Emanationen, die in allem um uns herum einen göttlichen Ursprung anklingen lassen.

So ist Axel Jung eine Art künstlerischer Mönch, der Kunst und Spiritualität für sich in Einklang bringt.

Beide Künstler zeigen Ihnen, liebes Publikum, ihr Innerstes, obgleich Sie vielleicht denken mögen, mit einfachen bzw. komplexen realistischen Motiven abgespeist zu werden. Sie laden Sie alle ein, es ihnen gleich zu tun, sich mit den Herausforderungen des Lebens kreativ auseinanderzusetzen.

Beide Künstler eint der existenzielle Antrieb, Erfahrungen des Wandels, der Selbstsuche und der inneren Transformation künstlerisch zu verarbeiten. Ihre Werke sind keine einfachen Antworten, sondern visuelle Reflexionen über das Menschsein, über Leid, Hoffnung und Sinnsuche. Die Ausstellung im Justizzentrum wird so zu einem Ort des Dialogs – nicht nur zwischen den Künstlern, sondern auch zwischen Kunst und Betrachter, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen äußeren Gesetzen und inneren Wahrheiten.

Viel Freude mit der Ausstellung!

Dr. Michael Becker

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